Erinnerung ist das Geheimnis der Versöhnung -
Projektfahrt nach Auschwitz und Krakau im Herbst 1999

Inhalt:


Vorwort

"Erinnerung ist das Geheimnis der Versöhnung" - unter diesem Leitwort stand ein Projekt des Norbertusgymnasiums in Magdeburg, des St. Zeromski-Lyzeums in Strzegom und des Johannes-Kepler-Gymnasiums in Weil der Stadt. 30 junge Menschen und fünf Lehrer/innen aus diesen drei Schulen machten sich auf den Weg, um sich gemeinsam mit dem deutschen Faschismus, dem dunkelsten Kapitel der deutsch-polnischen Geschichte auseinanderzusetzen und kleine Schritte auf dem Weg zur deutsch-polnischen Versöhnung zu gehen.
Es begann im September 1999 mit einem Vorbereitungsseminarin der "Bildungsstätte des Paritätischen" in Peseckendorf bei Magdeburg, ermöglicht durch großzügige finanzielle Unterstützung der Landeszentralen für Politische Bildung in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg und des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes (DPJW). Die Jugendlichen aus Polen, aus West- und aus Ostdeutschland kamen hier zusammen, um sich gegenseitig kennenzulernen und Erwartungen zu formulieren für ihre gemeinsame Fahrt nach Auschwitz und Krakau. Es gab Interaktions-Spiele, unbeschwertes Beisammensein, aber auch tiefgehende Diskussionen über unsere Vorstellungen und Ängste in Bezug auf die Fahrt nach Auschwitz und Krakau.
In den kommenden Wochen überwog die Vorfreude, die neugewonnenen Freundinnen und Freunde wiederzusehen, gegenüber den Ängsten vor der Auseinandersetzung mit Auschwitz. Bei unserem Aufenthalt in Auschwitz vom 20.-25.10.99 halfen uns der Rückhalt in der Gruppe - das Wissen, nicht allein zu sein - bei der Verarbeitung der Eindrücke der Führungen durch das Stammlager Auschwitz und durch das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Gemeinsame Gesprächsrunden und kreatives Verarbeiten des Erlebten waren dabei ebenso wichtig wie die praktische Arbeit auf dem Gelände des Stammlagers und Besuche des Lagergeländes in kleinen Gruppen. Die Internationale Jugendbegegnungsstätte (IJBS) von ASF (Aktion Sühnezeichen Friedensdienste) in Auschwitz bot mit ihren hellen, freundlichen Räumen die idealen Rahmenbedingungen für die Aufarbeitung. In Bibliothek und Videothek stellte die IJBS Archivmaterialien, Bücher und Filme zur vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema zur Verfügung.
Höhepunkt unseres Aufenthaltes in Auschwitz wurde ein Gespräch mit Zeitzeugen, das die IJBS für uns organisiert hatte. Es war beeindruckend, mit Menschen zu sprechen, die die Schrecken von Auschwitz und Birkenau überlebt haben und bereit waren, uns davon zu erzählen.

Immer wieder tauchte die Frage auf, wie konnte so etwas passieren und warum haben die Menschen damals nichts dagegen unternommen? Dieser Problematik versuchten wir nachzugehen durch eine Befragung von Eltern und Großeltern. Diese wurde in Peseckendorf vorbereitet, in der Zwischenzeit durchgeführt und in der IJBS Auschwitz ausgewertet. Wenn wir die genannten Fragen auch nicht endgültig beantworten konnten, so haben die Jugendlichen durch diese Interviews doch viele Dinge von ihren Großeltern erfahren, nach denen sie noch nie gefragt hatten. Sie gab einen Einblick in das Alltagsleben der NS-Zeit und ermöglichte eine Vorstellung von den unterschiedlichen Biographien in Deutschland und Polen.
Die Verständigung in den gemischtnationalen Arbeitsgruppen erfolgte z.T. auf Deutsch (die polnischen Schüler/innen lernen alle Deutsch), z.T. auf Englisch, vor allem aber mit Hilfe der deutsch-polnisch aufgewachsenen Geschwister Katherine und Witold Grzelak und der beiden Deutschlehrerinnen aus Strzegom, Monika Rydel und Elzbieta Wapczynska. Für Ihren Einsatz danken wir ganz herzlich!

Die Verschiedenartigkeit der Perspektive, z.B. bei der Auswertung der Interviews mit Eltern und Großeltern war das Spannende an dem gemeinsamen polnisch-deutschen Projekt. Gleichzeitig zeigte unser Zusammensein, dass die Erfahrungen der Großeltern nicht mehr trennen müssen, sondern die Jugendlichen heute neue gemeinsame Wege gehen können, in denen das Wissen um die Vergangenheit aufgehoben ist (im doppelten Sinne des Wortes).

Ein Stück dieser neuen gemeinsamen Wege waren die zwei Tage in Krakau zum Abschluss unserer Fahrt vom 25.-27.10.99, in denen wir gemeinsam eine moderne polnische Großstadt mit alter Tradition kennen- und schätzen gelernt haben. Möglich wurde unser gemeinsames Projekt nur durch die finanzielle Unterstützung verschiedener Organisationen, denen wir an dieser Stelle ganz herzlich danken möchten: dem DPJW Warschau, dem Kultus- und Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt und dem Jugendamt Magdeburg, dem Oberschulamt in Stuttgart und den Fördervereinen des Norbertus- und des Kepler-Gymnasiums. Ein besonderer Dank gilt der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, durch deren großzügigen Förderpreis uns ermöglicht wurde, auch noch ein Nachbereitungsseminardurchzuführen.

Dieses fand vom 20.-23. Januar 2000 im Internationalen Forum Burg Liebenzell statt, in der Nähe von Weil der Stadt. Dazu hatten wir den Zeitzeugen aus Krakau, Stanislaw Gladyszek, eingeladen. Mit ihm zusammen haben wir den Ort Dautmergen auf der Schwäbischen Alb besucht, in dem er 1944/45 im Außenlager des KZ Natzweiler war. Er erzählte von seinen Erlebnissen im Lager damals und wir sprachen über seine Eindrücke beim Besuch dieses Ortes. Herr Gladyszek hat für die erlittenen Qualen keinen Pfennig Entschädigung erhalten.
Dies war der Anknüpfungspunkt für unseren zweiten Themenschwerpunkt: Entschädigung von Zwangsarbeitern, zu dem wir auch durch Interviews die öffentliche Meinung erfragten. Neben der inhaltlichen Arbeit war es aber auch sehr wichtig, sich einfach wiederzusehen und nochmal ein paar Tage gemeinsam zu verbringen. Am Samstag abend feierten wir ein rauschendes Fest, was nur möglich ist, wenn alle sich gut verstehen!

Christiane Lähnemann



© 1999-2000 Projektgruppe Auschwitz