Erinnerung ist das Geheimnis der Versöhnung -
Projektfahrt nach Auschwitz und Krakau im Herbst 1999

Inhalt:


Leben, was heißt es zu leben?

Was ist das Leben und was zeichnet es aus? Manche Leute würden zur Beantwortung einfach die biologischen Kennzeichen heranziehen. Ist dies falsch?
Keineswegs, aber zieht man den Kreis enger und sieht nur den Menschen als die höchste Schöpfung der Evolution, wird es wesentlich schwieriger eine allgemeine Definition zu finden. Jedem ist diese Frage in irgendeiner Weise bereits gestellt worden, und jeder hat sich dies schon selber gefragt. Doch jeder wird seine vorläufigen Erkenntnisse und persönlichen überlegungen über Bord werfen, wenn er einmal in Auschwitz war. Wenn man erst einmal unzählige Fotos inhaftiert gewesener Menschen sieht und diese Gesichter betrachtet, die starr auf einen Punkt gerichtet sind ohne erkenntliche Gefühlsregungen, dann wird einem klar, dass hinter jeder Nummer auch ein Mensch steht. Doch als Betrachter wird man auch schockierender Weise an den Fotos vorbeigehen und sich kaum auch nur ein Gesicht merken können. Mit abgeschnittenen Haaren, leeren Blicken und in Sträflingskleidung gleichen die Gefangenen sich wie ein Ei dem anderen. Und genau die Auslöschung der äußeren Identität ist der erste Schritt das Leben zu beenden. All dies ist erst der Anfang. Ich stand in Birkenau und versuchte mir das Leben derjenigen Menschen in diesem Vernichtungsapparat vorzustellen, doch es funktionierte nicht. Allein scheint Birkenau riesig zu sein, aber das KZ mußte ca. 100.000 Häftlinge unterbringen, und dafür ist jenes Areal extrem winzig. Der einfache oftmals dem Tode geweihte Inhaftierte war wie ein Tier eingesperrt. Hunger, Krankheit, Schläge, Zwangsarbeit und Tod waren die ständigen Begleiter. Wenn man all dies doch überlebt, wartet die Gaskammer auf einen. Nimmt man den Menschen die Hoffnung, wird ein weiterer Teil des Lebens ausgelöscht. Einschränkung der Freiheit, Diskriminierung, Deportation aus der Heimat, Vernichtung der Träume, Zerstörung der Identität, qualvolle Prozeduren, entwürdigende Krankheiten und am Ende die Aussicht auf den Tod sind Schritte das Leben stufenweise abzutöten.
Eigentlich könnte man jetzt sagen, dass nichts übrigbleibt, aber stimmt dies wirklich? Sind nicht tief in uns Dinge wie der Glaube, das Bewußtsein, ein kleiner Funke Hoffnung und der Wille, welche einen in der Hölle von Auschwitz leben lassen können. Dies alles kann niemandem weggenommen werden.
Es ist schon schrecklich, dass einem dies erst wirklich klar wird, wenn man in einem Todesgebiet wie Auschwitz, das vielleicht größte Verbrechen der Menschheit, stand. Nun muß man unser "so normales" Leben neu erkennen!!!

Kai Wallstab



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