Erinnerung ist das Geheimnis der Versöhnung -
Projektfahrt nach Auschwitz und Krakau im Herbst 1999

Inhalt:


KZs in Sachsen-Anhalt, speziell in Magdeburg

Als sich im April 1945 die Tore der Konzentrationslager auf dem Gebiet des Deutschen Reiches öffneten, ging ein Schrei des Abscheus und des Entsetzens um die Welt. Die furchtbaren Bilder aus Lagern wie Buchenwald, Dachau, Bergen-Belsen oder Sachsenhausen beherrschten die öffentliche Diskussion in Deutschland (sofern diese in einem materiell und moralisch völlig zerstörten Land überhaupt stattfand) und in den Ländern der Siegermächte; selbst heute wird, vor allem dort, wo Deutsche so unermeßliches Leid verursacht haben, unser Auftreten als Deutsche oft am Maßstab dieser verbrecherischen Vergangenheit gemessen. Vor allem Auschwitz ist als Symbol für den Genozid (Völkermord) in die Geschichte eingegangen.
Weniger Beachtung finden hingegen Konzentrations-Außenlager und Zwangsarbeitslager, welche überall auf reichsdeutschem Gebiet, so auch im heutigen Sachsen-Anhalt, angesiedelt waren. Dabei gab es hier immerhin ca. 100 solcher Internierungspunkte, meist Nebenlager großer KZs, davon befanden sich zumindest 5 (nach aktuellen Recherchen) in Magdeburg.
Hierbei handelte es sich in der Hauptsache um Arbeitslager mit teilweise hohem Frauenanteil. Die Häftlinge waren billige Arbeitskräfte für große Unternehmen der Region (Ferngas Sachsen-Thüringen, BRABAG, Polte-Werke) mit kriegswichtiger Produktion. In diesen KZs in Sachsen-Anhalt sind ca. 80.000 Menschen unterschiedlicher Herkunft umgekommen, darunter allein 1.500 Juden in Magdeburg. Insoweit ist es wohl auch nicht ganz falsch, bezüglich dieser Nebenlager ebenfalls von Vernichtungslagern zu sprechen, denn "Vernichtung durch Arbeit" (nachdem man durch den "Verleih" der Arbeitskräfte an genannte Firmen noch "gutes Geld verdient" hatte) war ein zynisches Schlagwort, das die nationalsozialistische Ideologie durchaus treffend repräsentierte.
Dieser (unpopuläre) Abschnitt Magdeburger Geschichte ist bis heute wenig bekannt, da zahlreiche Archive durch den Krieg zerstört worden sind, es an Zeitzeugen mangelte und die Aufarbeitung (vielleicht ?) nicht mit dem nötigen Interesse betrieben wurde. Hinweise auf Magdeburger KZs verdichteten sich deshalb erst vor einigen Jahren. Die Stadt hat sich aber das Ziel gesetzt, nach sorgfältiger historischer Recherche, Aufarbeitung und Verifizierung der Dokumente diesen Part ihrer Historie bis 2002 der interessierten Öffentlichkeit in geeigneter Weise (Mahnmale, Ausstellungen, Museum ...) zugänglich zu machen.

"Gestapo-Auffanglager Magdeburg-Rothensee"
Das Gestapo-Auffanglager wurde Anfang 1939, nach der berüchtigten "Reichskristallnacht" (09. November 1938 - in Magdeburg wurde die jüdische Synagoge zerstört, Geschäfte und Kaufhäuser von Juden geplündert, Juden verhaftet und mißhandelt) im Stadtteil Rothensee eingerichtet.
Juden aus Magdeburg und der Umgebung waren die ersten Häftlinge. Wenig später, nach Kriegsausbruch durch die deutsche Invasion in Polen (01. September 1939), kamen auch Gefangene aus Polen und anderen von Deutschland besetzten Ländern wie Frankreich, Ukraine, Litauen, Holland und Belgien hinzu.
Zeitweilig beherbergte das Auffanglager ca. 500 Häftlinge, darunter waren auch zahlreiche Inhaftierte aus anderen Konzentrations-, Zwangsarbeits- und Kriegsgefangenen-lagern. Das Lager wurde durch Kräfte der SS und die örtliche NS-Reservepolizei bewacht. Die Lagerinsassen mußten während der gegen sie laufenden Prozesse für die Gestapo Bauarbeiten ausführen.
Sie wurden allerdings auch durch Magdeburger Rüstungs-betriebe wie Polte, Krupp-Gruson oder Buckau R. Wolf angefordert bzw. durch den Magistrat der Stadt Magdeburg bei der städtischen Müllabfuhr, zur Pflege der Grünflächen oder im Altstädtischen Krankenhaus eingesetzt.
Im Gegensatz zu anderen Häftlingen waren die inhaftierten Juden verpflichtet, Häftlings-Kleidung und Holzschuhe zu tragen.
Die Häftlinge wurden oftmals brutal mißhandelt; so war die Prügelstrafe an der Tagesordnung, Hunde wurden auf die Strafgefangenen gehetzt, bei geringsten Anlässen wurde mit sofortigem Erschießen gedroht. Nach den furchtbaren anglo-amerikanischen Luftangriffen im beginnenden Jahr 1945 wurden die Häftlinge des Auffanglagers in das Provisorium Schloß Altenhausen bei Haldensleben verlegt.
Bis zu ihrer Befreiung durch die Alliierten mußten sie im nahegelegenen Steinbruch Süplingen arbeiten.
Der Wachleiter des Lagers, Otto Naumann, und einer der brutalsten Schläger, der SA-Mann Karl Koch mußten sich nach dem Kriege vor dem Landgericht Magdeburg verantworten. Sie wurden 1949 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

"BRABAG-Lager Magdeburg-Rothensee"
Das BRABAG-Lager wurde am 16. Juni 1944 gegründet, kurz nach dem im folgenden Abschnitt besprochenen Polte-Lager in MD-Stadtfeld. Es war dem KZ Buchenwald unterstellt und beherbergte 2170 Häftlinge, in der Mehrzahl ungarische Juden.
Das Gründungsdatum verdeutlicht (wie auch bei Polte) schon den Zweck der Einrichtung des Lagers: kriegswichtige Produktionsstätten, die unter chronischem Arbeitskräftemangel litten, hatten ihren "Bedarf" angezeigt.
Zu diesen für die Kriegswirtschaft bedeutenden Konzernen gehörte die Braunkohle-Benzin AG (BRABAG), welche synthetischen Treibstoff aus Braunkohle herstellte und damit die Kriegsmaschinerie unabhängig von Rohstofflieferungen aus dem Ausland machen sollte. Die Reichsregierung hatte den Zusammenschluß bedeutender Kohlewerke zur BRABAG bereits 1934 im Zuge der Zwangskartellierung der deutschen Wirtschaft verordnet; ein Indiz dafür, daß die Kriegsvorbereitungen lange vor dem Überfall auf Polen begannen. Die BRABAG wurde zu einem der größten "Arbeitgeber" von KZ-Häftlingen und zu einem Präzedenzfall für die Menschenverachtung und die eigentliche Vernichtungsabsicht, die sich auch mit den "Arbeitslagern" verband (siehe oben).
Die Arbeitsstätten der Häftlinge lagen bis zu 6 km vom Lager Rothensee entfernt - sie mußten also täglich durch die Stadt marschieren, um die Fabriken zu erreichen. Während der immer häufigeren und heftigeren Luftangriffe der Alliierten mußten die Häftlinge in den Fabriken bleiben, während die SS-Wachmannschaften sich in den Bunkern verkrochen.
Wegen geringfügiger Anlässe, oft ohne Grund, wurden die KZ-Zwangsarbeiter bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen.
Waren sie durch die brutale Behandlung, die harte Arbeit und die zugeteilten Hungerrationen zu schwach zum Arbeiten, wurden die Häftlinge als "verbraucht" in die Hauptlager (z.B. Bergen-Belsen) zurückgeschickt und neues "Arbeitsmaterial" angefordert. In den 8 Monaten der Existenz des BRABAG-Lagers starben von 2.170 Insassen 529 (also 25 %) durch harte Arbeit, brutale Mißhandlung und Entkräftung auf Grund unzureichender Ernährung und Hygiene sowie Erkrankung.
Als die Alliierten näherrückten, wurde das BRABAG-Lager aufgelöst (am 09. Februar 1945). Die verbliebenen Häftlinge wurden nach Buchenwald deportiert.

"Polte-Lager Magdeburg-Stadtfeld"
Das Polte-Lager wurde am 14. Juni 1944 gegründet.
Als Außenlager war es dem KZ Ravensbrück (später dem KZ Buchenwald) unterstellt. Mindestens 3.000 weibliche (darunter 2.000 Jüdinnen) und 600 männliche Häftlinge waren im Lager interniert und wurden in den Magdeburger Polte-Werken eingesetzt. Der Anlaß für die Einrichtung des Außenlagers lag im bereits erwähnten Arbeitskräftemangel. Spätestens seit 1942 waren die durch den Fronteinsatz vieler Facharbeiter entstandenen Personalengpässe nicht mehr durch zwangsverpflichtete Frauen und Kriegsgefangene zu schließen, so daß KZ-Häftlinge (auch und vor allem Juden) zur begehrten "Ware Arbeitskraft" wurden.
Die während der berüchtigten "Wannsee-Konferenz" beschlossene "Endlösung der Judenfrage" konnte ja zum Teil (und zum deutschen Vorteil) auch auf dem Wege der bereits erwähnten "Vernichtung durch Arbeit"-Strategie erfolgen. Die Deklarierung zum "jüdischen Arbeitssklaven" fand schon an den Toren der KZ's statt - SS-Ärzte entschieden an Hand einer physischen Begutachtung über "sofortigen Tod" oder "Tod durch Arbeit". Kriegswichtige Firmen wie Polte und BRABAG konnten den Einsatz der Arbeitskräfte beantragen. Der Einsatz der Häftlinge war sehr billig, so daß die Firmen riesige Profite erzielten. Durch Terror, Folter, Mangelernährung, Ausbeutung (mehr als 12-stündige Arbeitszeiten), Arbeitsunfälle etc. wurde gleichzeitig die Vernichtungskonzeption der Nazis umgesetzt.
Das Polte-Lager wurde am 13. April 1945 aufgelöst.

Konzentrationslager wurden ursprünglich zum Fernhalten (und bald auch zur Beseitigung) politischer Gegner, Regimekritiker, Andersdenkender, Behinderter und Juden eingerichtet. Sie wandelten sich in kurzer Zeit zu Lagern, in denen systematisch Zerstörung von Leben durch die Faktoren Gewalt, Hunger und Arbeit betrieben wurde.
Alles begann als Terror gegen den politischen Feind und endete mit dem Tod von Millionen Menschen!

Stefan Godau, Clemens Gürke und Kai Wallstab

Quelle: Materialien des Landesverbands der jüdischen Gemeinden Sachsen-Anhalt.



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