Erinnerung ist das Geheimnis der Versöhnung -
Projektfahrt nach Auschwitz und Krakau im Herbst 1999

Inhalt:


Interview mit Eltern und Großeltern

GROSSELTERN:

1.) Wo warst Du während des Krieges und wie alt warst Du?
Die meisten waren zwischen 15 und 20 Jahren alt und lebten auch während des Krieges in ihren Heimatstädten. Einige mußten Kriegsdienst im Ausland leisten, waren auf der Flucht oder wurden von Polen aus nach Deutschland deportiert und mußten dort Zwangsarbeit leisten.

2.) War Deine Familie vom Krieg betroffen und in welchem Maße?
Bei fast allen Deutschen wurden Familienmitglieder zum Kriegsdienst eingezogen. Viele wurden schwer verletzt oder getötet.
Viele Polen wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland oder in Vernichtungslager gebracht. Viele waren außerdem dadurch betroffen, daß sie ihre Wohnungen verloren haben, fliehen mußten, Versorgungsprobleme hatten oder Opfer in der Verwandtschaft zu beklagen hatten.
So wurde zum Beispiel der Bruder einer Großmutter mit 17 Jahren bei Massenverhaftungen festgenommen und nach Deutschland deportiert. Er kam in das KZ in Oflack und mußte in einer Waffenfabrik arbeiten. Während der Flucht aus dem KZ wurde er angeschossen, schaffte es aber nach Hause zu kommen.
Die Tante einer Großmutter war Lehrerin und hat in einer Untergrundschule mitgearbeitet. Sie wurde verhaftet und nach Ravensbrück gebracht. Dort wurden medizinische Experimente mit Kulturen auf der Haut gemacht. Bis zur Befreiung durch die Amerikaner hat sie über 50 kg abgenommen. Sie ging zurück nach Polen und arbeitete wieder als Lehrerin. Kurz nachdem sie vom Staat eine Auszeichnung erhalten hatte, ist sie gestorben.

3.) Wie sah die Schule während und nach dem Krieg aus?
In vielen Fällen war ein geregelter Schulbesuch nicht möglich, da die Schulen entweder zerbombt waren, für andere Zwecke genutzt wurden oder durch Bombenalarm ständig geschlossen hatten.
Manche Schulen wurden auf´s Land verlegt, da es dort weniger Angriffe gab.
So konnte zum Beispiel eine Großmutter ohne Probleme ihr Abitur machen und studieren.
Allerdings wurde in den Schulen Propaganda betrieben.
In Polen wurde in den Schulen grundsätzlich nur noch bis zur 4. Klasse unterrichtet, um den Menschen dort keine Bildung zu ermöglichen..
Eine Großmutter war von Berlin aus nach Kudnow im deutsch besetzten Polen evakuiert und besuchte dort eine Schule, die für polnische Schüler geschlossen worden war und nur für deutsche Schüler wieder eingerichtet worden war.

4.) Habt Ihr gedacht, daß Ihr im Recht seid? Wie kam eure Einstellung dazu zum Ausdruck?
In Polen dachten die Menschen alle, daß sie im Recht sind und haben fast alle den Untergrundkampf gegen die Nazis unterstützt. Viele hatten allerdings auch Angst und äußerten sich nicht in der Öffentlichkeit über ihre Ansichten.
In Deutschland waren die Meinungen unterschiedlich: Viele glaubten, daß Deutschland im Recht sei, was auch durch die Propaganda zustande kam, durch die natürliche Zweifel oft ausgeräumt oder zumindest verringert wurden.
Einige glaubten jedoch auch, daß Deutschland nicht im Recht sei. Doch nur wenige von ihnen wurden tatsächlich aktiv und äußerten sich Öffentlich zu diesem Thema, da sie Angst hatten, verhaftet zu werden.
Manche waren schlichtweg auch einfach noch zu jung, um sich darüber richtige Gedanken zu machen.
Allgemein sprach man in Polen sowie auch in Deutschland nur im engsten Kreise von Gleichgesinnten über so kritische Dinge wie Widerstand.

5.) Was wußtet Ihr von den Konzentrationslagern? Wie und wann habt Ihr es erfahren? Wie war Eure Reaktion?
Während des Krieges gab es in Deutschland nur vereinzelte Gerüchte, ansonsten wurde das Thema jedoch totgeschwiegen. Die meisten erfuhren erst bei Kriegsende von den Besatzungsmächten, daß es Vernichtungslager gegeben hatte, von den Arbeitslagern wußten jedoch einige schon vorher etwas.
Auch durch ausländische Radiosender konnte man einiges erfahren, wer beim Hören dieser Sender erwischt wurde, bezahlte mit seinem Leben dafür.
Die Reaktionen der Leute waren unterschiedlich, einige wollten es nicht glauben, daß es Vernichtungslager gegeben haben soll, die meisten waren jedoch entsetzt.
In Polen wussten viele Menschen von den KZs.

6.) Sind Freunde oder Verwandte von Euch verhaftet worden? Was passierte mit ihnen? Wie seid Ihr damit umgegangen, wenn Bekannte (...) von Euch abgeholt wurden? Wie habt Ihr Euch selbst davor geschützt?
Viele haben durch Verhaftungen Freunde und Verwandte verloren, die ins KZ gebracht wurden und oft nicht mehr zurückkehrten. Die Gründe waren, daß sie als Gegner des Deutschen Reiches angesehen wurden (Juden, Widerstandskämpfer, Kommunisten, etc.).
Um nicht negativ aufzufallen, hielten sich die meisten in der Öffentlichkeit an die Regeln und unternahmen aus Angst davor, selbst verhaftet zu werden, nichts gegen die Deportationen. Man sprach, wenn überhaupt, dann nur im engsten Kreis von Gleichgesinnten über politische Meinungen.

7.) Wie war die Einstellung von Dir und Deiner Familie den Juden gegenüber?
Die Antworten auf diese Frage waren sehr unterschiedlich. Deutlich wurde, daß viele Polen Probleme mit den oft reichen Juden hatten.
Einige lebten ohne Probleme mit Juden zusammen, interessierten sich aber auch nicht weiter für sie. Manche kauften auch in jüdischen Geschäften ein oder waren bei einem jüdischen Arzt. Vereinzelt hatten sie jüdische Freunde, die jedoch meistens geflohen sind.

8.) Kanntet ihr Juden, die deportiert wurden? Wie habt ihr reagiert, als ihr davon erfahren habt?
Im Allgemeinen wurden viele Deportationen beobachtet, wenn Freunde verhaftet wurden, war man zwar erschüttert, aber hilflos.

9.) Hat jemand aus Deiner Familie oder Bekanntenkreis Juden geholfen? Wenn ja, wie?
Die meisten sagten, dass es zu gefährlich war, da es hohe Strafen für Hilfe gab. Einer berichtete von Unterstützungen für "Halbjüdinnen" aus dem Betrieb, die nicht deportiert wurden.
Ein polnischer Schüler erzählte, dass seine Großeltern Lebensmittel in Warschau über die Ghettomauer geworfen haben.
Andere hatten eine jüdische Familie versteckt, die allerdings, als die Lage ernster wurde, aus Sorge um die Helfenden geflohen ist.
Der Onkel eines polnischen Großvaters hatte auf dem Lande mehrere Juden versteckt. Diese wurden verraten und die ganze Familie kam in das KZ Groß-Rosen.

10.) Kanntet Ihr SS-Männer? Was passierte mit ihnen nach dem Krieg?
Folgendes wurde berichtet:
Der Mann einer Cousine war bei der SS; er war nach dem Krieg schwer depressiv. Ein Großvater war als Kind bei dem SS-Mann Dr. Fleck in Tschechien auf Urlaub.
Eine Großmutter mußte in der Ukraine nach Rußland durchreisende SS-Männer verpflegen; sie fielen nicht durch schlechtes Benehmen auf.
Nach dem Krieg wurden SS-Männer von Amerikanern lächerlich gemacht, indem diese sie auf Kühler des Autos setzten und so mit ihnen durch die Straßen fuhren.
Jemand kannte zwei Männer, die zwangsweise in Waffen-SS eingezogen wurden; ihnen passierte nach dem Krieg nichts. Ein entfernter Verwandter der Großmutter und Schulkamerad waren bei SS; der eine kam in ein Lager (Kornwestheim), der andere ist gefallen.
Die anderen hielten sich von den SS-Leuten fern, da sie für ihre Brutalität bekannt waren, viele hegten starke Ablehnung ihnen gegenüber, zeigten diese aber aus Angst nicht.

11.) Wie und wo hast Du das Kriegsende erlebt und was war dein erster Gedanke?
Eine Großmutter hatte vor Kriegsende einen Brief von ihrem Bruder erhalten, in dem stand, dass Deutschland den Krieg verlieren werden. Sie hat den Brief verbrannt, um das Beweismittel zu vernichten.
Mehrere haben das Kriegsende als Befreiung erlebt. Kriegsende bedeutete das Ende der Bombardierungen. Allerdings waren die Besatzer nicht bei allen beliebt, man hatte Angst vor ihnen. Es gab Plünderungen, Verwüstungen und Vergewaltigungen durch Besatzer.
Eine Großmutter mußte ihre Heimat, die Ukraine verlassen, weil das Gebiet Rußland zugeteilt wurde.
Zu diesem Zeitpunkt waren kaum noch Deutsche in Polen.
Ein Großvater war kurz vor Kriegsende auf Urlaub gewesen. Auf dem Weg zurück zur Front wurde er verletzt. Dadurch kam er mit einem Krankentransport noch zurück über die Elbe. Er wurde von den Amerikanern aufgegriffen. Beim Gefangenentransport zu einem Lager gelang ihm die Flucht. Von Fremden bekam er Zivilkleidung und konnte unerkannt zur Familie zurückkehren.
Ein anderer hat das Kriegsende im Gefangenenlager erlebt.
Insgesamt waren die Menschen erleichtert und von ihrer Not der letzten Jahre erlöst. Doch die gewaltsamen übergriffe der Besatzer trübten dieses Gefühl der Erleichterung in einigen Fällen. Die Menschen hatten bei Kriegsende im Allgemeinen gemischte Gefühle: Sie hatten Angst vor Rache (in Deutschland), sorgten sich um Verwandte und Bekannte, die in Kriegsgefangenschaft waren und trauerten um die Opfer. Da bis zum Schluß verbreitet wurde, daß Deutschland den Krieg gewinnen würde, führte die Niederlage Deutschlands bei vielen zu Enttäuschung und Fassungslosigkeit. Trotz allem begann man auf ein besseres Leben zu hoffen.

12.) Wußtet ihr, daß einige KZs auch nach dem Krieg wieder zur Internierung benutzt wurden?
Auch bei dieser Frage gingen die äußerungen stark auseinander: Einige DDR-Bürger erfuhren erst nach dem Mauerfall davon, andere wußten schon vorher Bescheid. Insgesamt haben zwar viele etwas davon gewußt, allerdings die meisten erst recht spät. Manche dachten auch, daß alle KZs vernichtet worden waren.
Einige Antworten:
Großvater wurde festgenommen und kam ins KZ; nach einem Jahr kam er wieder frei.
in Polen lebende Deutsche, die nicht gehen wollten, wurden ins KZ geschickt
viele Juden haben sich gerächt, indem sie SS-Männer ausgeliefert haben, die dann ins KZ kamen
wußten Bescheid, aber konnten nichts dagegen tun


ELTERN:

1.) Wann hast Du von der Nazi - Zeit erfahren und von wem?
In Polen wuvte man darüber gut Bescheid, allerdings war kaum etwas darüber bekannt, was die Russen getan haben.
In Deutschland erfuhr man, von den Lehrern abhängig, viel oder auch nur sehr wenig darüber.
Allgemein erfuhr man über Eltern und Medien etwas über diese Zeit.

2.) Wie wurde die NS - Zeit in der Schule behandelt?
In der DDR und in Polen wurde der Sozialismus der NS-Zeit gegenübergestellt und die DDR bzw. Polen als Erbe des antifaschistischen Kampfes gegen dieses Regime dargestellt; an der Entnazifizierung in beiden Ländern war Rußland sehr stark beteiligt.
In beiden Ländern (DDR und Polen) wurde der deutsche Faschismus ausführlich in der Schule behandelt und der Besuch einer KZ-Gedenkstätte war Pflicht. (In Strzegom wurde Groß-Rosen besucht, von Magdeburg aus Buchenwald)
In der BRD kam es stark auf die Schule und den Lehrer an, wie intensiv das Thema behandelt wurde.
Eltern, die bis Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre zur Schule gegangen waren, hatten in der Schule kaum etwas über den Nationalsozialismus erfahren ("Der Geschichtsunterricht endete 1933 und begann dann wieder in der Antike"). Bei Eltern, die später zur Schule gegangen waren, wurde der Nationalsozialismus auch in der Schule behandelt.

3.) Was ,wann und von wem hast Du von KZs (und besonders von Auschwitz) erfahren? Wie war Deine Reaktion?
Siehe Frage 1.) und 2.) ; außerdem durch Besuche von KZs mit der Schule, unter anderem auch in Auschwitz.

Sabrina Holzinger und Raphael Klinger



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