Erinnerung ist das Geheimnis der Versöhnung -
Projektfahrt nach Auschwitz und Krakau im Herbst 1999

Inhalt:


"Zitronen aus Kanada"

Vier Jahre lang begleitete die Autorin Karin Graf den ehemaligen Auschwitz KZ-Häftling Stanislaw Hantz und sprach mit ihm über seine Vergangenheit. Diese dokumentierte sie in Form von biographischen Erzählungen in dem Buch "Zitronen aus Kanada". Die Handlung setzt bei der Verhaftung Staszeks am 12.08.1940 ein. Die Berichte sind lebendig geschrieben und bringen den Leser zum Weinen, aber auch zum Lachen. Eine Geschichte, die mich sehr bewegte, handelt von einer Strafe, bei der Staszek von einem SS-Mann gezwungen wird, einen Frosch zu essen.
Der starke Zusammenhalt, der unter den Häftlingen herrschte, wird häufig angesprochen und ist bemerkenswert. So organisierten Mithäftlinge dem erkrankten Staszek aus Kanada Chinin gegen Fieber und eine Zitrone zur Stärkung (`Kanada` bezeichnet im Lagerjargon den Ort, an dem vor allem jüdischen Häftlingen geraubtes Hab und Gut gelagert wurde). Darauf bezieht sich auch der Titel des Buches.
Die Texte werden durch prägnante überschriften eingeleitet und sind sehr gut ergänzt durch Fotos und Zitate Stanislaws. Die Zitate sind für den Leser leider manchmal recht schwer verständlich.
Insgesamt bezeichne ich dieses Buch als lesenswert; besonders, wenn man schon einmal selbst in Auschwitz war (man erlebt das Geschilderte dann intensiver). Es ist ein Zeitzeugendokument, welches das Vergessen der Greueltaten in den KZs während der NS-Zeit verhindern soll und ist im Verlag des Staatlichen Museums Auschwitz - Birkenau (Oswiecim/Polen) erschienen.

Franziska Mantei



Ein Auszug aus "Zitronen aus Kanada":
War es in Block 3 oder Block 4 in 'Mexiko', wo sie ihr Zimmereiwerkzeug lagerten und wo auch die Kommando-Schreibstube war? Weil in 'Mexiko' keine Baracken mehr stehen, versucht sich Staszek an den Grundmauern im gegenüberliegenden 'seinem', Bauabschnitt zu orientieren - vergeblich. Dann leht er seinen Weg von damals zurück: von seinem Block zur Blockführerstube vor dem Zaun und von dort über die Straße hinüber nach 'Mexiko'. Er hofft, daß seine Füße den Weg von vor über fünfzig Jahren von selber finden. Aber auch dieser Versuch bringt ihm nicht die exakte Erinnerung zurück, die ihm so viel bedeutet.
Im letzten Birkenauer Sommer bauen sie in 'Mexiko' unzählige Blöcke auf. Das Klopfen der Hämmer und Äxte legt sich über das Lager. "Die Birken, die war nicht", sagt er ungehalten über die Frechheit der Natur hier einfach rumzuwuchern und steuert auf den verläßlicheren Orientierungspunkt, einen Betonpfosten, zu. "Geht SS weiter wie pfosten, dann ruft einer von uns 'Michal po daj gwozdzie' und schlägt der laut mit Axt auf Dach. Macht das immer der, welcher arbeitet mit kleinste Abstand zu Blockführerstube." Michael, gib mir die Nägel, ist die verabredete Warnung an die anderen Zimmerleute, daß der Feind naht, der sie weder beim Essen, beim Faulenzen, beim Rauchen, beim polnischen Plausch ertappen soll. "Nichts ist erlaubt, Leben ist schon nicht erlaubt", spuckt er verzweifelt vor sich hin.
Dann erhellt sich sein Gesicht, ein schmeichelndes "aber" zeigt sich am Horizont, "ist da ein SS-Mann mit Namen Bischof, der kommt von Lodz. Arbeitet der hier und seine Familie, Tante oder was, weiß ich nicht, die ist Häftling in Frauenlager. Kann der gut Polnisch. Wenn der dort in unsere Richtung kommt, da ruft der selber zu uns auf Dach: Michal, po daj gwozdzie!" Lachend fliegt die närrische Szene davon.



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