Erinnerung ist das Geheimnis der Versöhnung -
Projektfahrt nach Auschwitz und Krakau im Herbst 1999

Inhalt:


Widerstand deutscher Ärzte in der NS-Zeit

Götter in weiß werden sie genannt, und normale Menschen sehen ihre Tätigkeit manchmal auch als übermenschlich an. Von Ärzten erwartet man Hilfe, sie sind der Inbegriff des unbefleckten Guten. Aber die Zeit des Nationalsozialismus ist eher ein dunkles und oftmals grausames Kapitel der deutschen Ärzteschaft. Josef Mengele sollte jedem als das schrecklichste aller Monster im weißen Kittel bekannt sein. Doch irgendwo muß dieser Rückschritt begonnen haben, denn es gab auch Ausnahmen, nur leider zu wenige, um von einem richtigen Widerstand zu reden.
Schon vor dem Regierungsantritt der Nazis gab es ungehörte Proteste des "Vereins sozialistischer Ärzte" gegen die stark konservative Richtung der ärztlichen Standesorganisation, welche sich nach dem 1. Weltkrieg etabliert hatte.
Nach dem Machtwechsel in Deutschland wurde der "Verein sozialistischer Ärzte" durch die Nazis aufgelöst, ihre Anhänger verhaftet und jegliche Organisation andersdenkender Ärzte zerstört. Es gab keinerlei Proteste oder eine Solidarität von anderen Berufskollegen nach dieser Säuberung. Die einzelnen Berufsverbände sowie viele junge Nazi-Ärzte zeigten eine starke Loyalität gegenüber dem Regime, was zu purer Ignoranz und gezielter Denunziation führte.
Kontrolle über die neue Gesinnungsrichtung hatten einmal die "Reichsärztekammer" und die "kassenärztliche Vereinigung Deutschlands".
Jegliche Zweifel gegen rassenhygienische Züchtung und Vernichtungsunternehmen wurden ausgeräumt. Und dennoch wurde Widerstand geleistet! Dieser Kampf war einzigartig und sehr gefahrvoll, aber er wird in Einzelfällen zu stark heroisiert.
Nach der Zeit des Krieges haben verschiedene Seiten versucht dieses Thema auszuwerten. Die sozialistische Interpretation geht davon aus, dass nur an der Seite von einer Arbeiterbewegung Widerstand möglich gewesen wäre. Am Beispiel von Psychotherapeut John Rittmeister ("Rote Kapelle"), der keinerlei Kontakt zu einer politischen Gruppierung hatte, ist zu erkennen, dass diese Annahme nur selten gilt. Die westliche (BRD) Interpretation sieht es als unpolitischen Widerstand, welcher nur aus reinem ethischen Verständnis handelt und vereinzelt war. Man muß dazu auch die vielen Lücken in der Aufarbeitung
dieser Zeit sehen, denn es war oft unklar, wer aktiv oder auch passiv agierte.

Formen des Widerstandes:
Eine erste Art ist der organisierte Widerstand in einer politischen Partei (betrifft mehr die Zeit vor dem 30.01.1933) Als Beispiel wäre die VSA mit Dr. Georg Benjamin und Dr. Georg Löwenstein zu nennen.
Eine weitere Möglichkeit war die Mitarbeit in konspirativen Gruppen. Hier sind zwei Formen zu unterscheiden. Erstens die politisch geführten, meist von Untergrund-kommunisten, wie z.B. die UHRIG-Gruppe (Robert Havemann und Dr. Georg Großkurth). Ihre Aktivitäten waren strategische Diskussionen und Pläne für die demokratische Erneuerung Deutschlands. Zweitens religiös, humanitär orientierte Gruppen, wie "Die weiße Rose" (Hans Scholl, Alexander Schmorrel und Traute Lafrenz) und die "Rote Kapelle" (John Rittmeister, Dr. Elfriede Paul). Sie verteilten Flugblätter als Information und führten Spionage durch.
Als nächstes gab es primäre Einzelkämpfer (Pädiater Rudolf Degkwitz, Sozialhygeniker Rainer Fetscher). Sie hatten einen ideologischen Hintergrund (auch Kontakt zu anderen Gruppen) Sie machten öffentliche antinazistische Äußerungen und leisteten Hilfeleistung für Verfolgte.
"Schweigende Opponenten" haben stillschweigende Hilfe für Verfolgte geleistet. Hier waren persönliche Motive stark ausschlaggebend.
Weiterhin gab es "partiellen und punktuellen Widerstand". Dies waren einzelne Kritik, auch am Euthanasiepogramm oder Bedenken an den politischen Eingriffen in die Medizin und Forschung, so z.B. durch den Chirug Ferdinand Sauerbruch, der dennoch für die Nazis voll verfügbar war.

Keine durchgreifende Wirkung
Doch woran lag es, dass kein Widerstand etwas erreichen konnte? Ärzte sind flächendeckend unpolitisch gewesen, und dennoch hat ihre Passivität politische Merkmale ausgebildet. Viele Ärzte wurden dazu noch mit lukrativen Angeboten geködert. Nach der Zerschlagung jeglicher Opposition im Staat fehlte eine strukturierte Organisation, um etwas zu bewegen. Viele Mediziner besaßen dazu die Selbstauffassung ein deutscher Staatsbürger zu sein, "Nationalist". Diese hatten den Willen Deutschland zu alter Größe zu führen und alles dafür zu tun. Der Widerstand in Deutschland ist seit dem Abwenden der Ärzte von jahrtausenden alten Regeln der Menschlichkeit zusammengebrochen, aber der Kampf war seltener und ist ein Lichtblick in der Zeit dieser Unmenschlichkeit.

Kai Wallstab



© 1999-2000 Projektgruppe Auschwitz